Elizabeth wird vermisst by Emma Healey

Elizabeth wird vermisst by Emma Healey

Autor:Emma Healey
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2013-12-03T00:00:00+00:00


11

Irgendetwas ist passiert. Ich muss aufstehen, raus, Sukey suchen. Ich ziehe ein gestreiftes Männerhemd an und eine alte Hose, die ich nicht kenne. Dann stecke ich mir alle möglichen Dinge in die Taschen: Taschentücher, eine Rolle Pfefferminzbonbons und eine Plastikperlenkette. Ist das ein Traum? Ich glaube nicht. Mein Bettzeug liegt zusammengeknüllt auf einem Haufen, aber ich habe jetzt keine Zeit, das Bett zu machen. Ich will mir etwas notieren, weiß aber nicht, was. Die Treppe knarrt, als ich mich nach unten schleiche, und die Türklinke klickt laut, als ich sie herunterdrücke. Auf der Schwelle bleibe ich noch einmal stehen. Die Muskeln in meinem Gesicht sind angespannt, doch alles ist still, als ich mich auf den Weg zu Franks Haus mache.

Die Luft draußen ist kalt und frisch und riecht beinahe süß. Ich genieße ihren Geschmack auf meiner Zunge, und es vergehen mehrere Minuten, bis ich bemerke, dass ich mich verirrt habe. Das hier ist nicht die Straße, in der ich geglaubt habe zu sein. Und die nächste Straße kommt mir genauso fremd vor, und mein Herz setzt einen Schlag lang aus. Mir läuft die Zeit davon. Ich muss irgendwohin oder zu jemandem. Und es ist dringend. Leise hallen meine Schritte durch die Dunkelheit, und vor mir springt ein Fuchs aus einer Hecke. Er hält kurz inne und schaut auf die andere Straßenseite. Er hat dort wohl irgendetwas entdeckt. Ich bleibe auch stehen.

»Hallo Fuchs«, sage ich, aber er starrt weiter zur anderen Straßenseite hinüber. »Fuchs?«, frage ich und wedele mit den Armen. Einen Augenblick lang kommt es mir sehr wichtig vor, ihn auf mich aufmerksam zu machen. Ich krame in meiner Tasche, hole ein Pfefferminzbonbon heraus und werfe es auf die Straße. Es landet beinahe vor seinen Füßen, und er dreht sich um. Winzige Lichtpunkte funkeln in seinen Augen. »Hallo Fuchs.«

Er rennt davon, und ich gehe weiter. Jetzt erkenne ich auch, was mich so verwirrt hat: Es sind all die neuen Häuser. Wenn die Straßen so durcheinander sind, werde ich nie ans Ziel kommen. Und ich bin erschöpft. Dabei kann ich gar nicht so weit gegangen sein, doch meine Beine sind schwer, und mir tut der Rücken weh. Ich fühle mich wie eine alte Frau. Ich fummele noch ein Bonbon aus der Rolle und werfe es hinter mir auf den Bürgersteig. Hell und weiß leuchtet es auf dem dunklen Pflaster. Wenigstens werde ich so feststellen können, ob ich im Kreis laufe oder nicht. Am Ende der Straße hält ein Wagen, und ein Mann steigt aus. Er kommt auf mich zu, hat die Finger in den Gürtel gesteckt. Die Autoscheinwerfer strahlen ihn an, und sein Schatten wird immer länger. Ich weiche zurück.

»Wo wollen Sie denn hin, junge Frau?«, fragt er. Er schaut mich direkt an. Das weiß ich, obwohl ihn das Licht von hinten anstrahlt und sein Gesicht nur eine Silhouette ist.

»Nach Hause«, rufe ich, drehe mich um und zwinge meine Beine, schneller zu gehen. »Meine Mutter wartet schon auf mich.«

Der Mann macht ein Geräusch, eine Art Schnauben. »Ach ja?«, fragt er. »Und wo ist dieses Zuhause?«

Ich weiß es nicht.



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